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keynote #03

Aktualisiert: 26. März

METROPA keynote #03 @ University St. Gallen (HSG), October 5th (in german)


Mein Name ist Stefan Frankenberger, ich bin Musiker und Produzent mit Wohnsitz in Wien, ich pendle viel zwischen Bayern und dort hin und her. In der Schweiz war ich, obwohl sie so nahe ist und nahe liegt, schon länger nicht mehr. Leider muss ich auch gleich heute wieder abreisen, obwohl ich mir gern noch die Klosterbibliothek anschauen würde, über die ich als Musikstudent viel gelesen habe, denn dort sind die sogenannten „St. Gallener Neumen“ entstanden, die im Frühmittelalter einen Durchbruch in der Festhaltung von musikalischen Gedanken darstellten. Sie waren eine der Vorläufer dessen, was wir heute als „Noten“ kennen. Ein erinnerungstechnischer Meilenstein, ein Sprung in die Neuzeit, obwohl man noch gar nicht richtig mit der eigenen Zeitrechnung begonnen hatte.

Ich will Ihnen heute etwas zeigen, was ein bisschen so ist wie diese neue neue Notation. Ein Werkzeug, um die Zukunft besser zu verstehen und besser mit ihr umzugehen.


Ich möchte Ihnen METROPA vorstellen. Es ist ein einfaches Bild von Europa, jedoch Hochkant anstatt im Querformat. Im Mittelpunkt stehen die Verbindungen der Metropolregionen, weit über die Grenzen Europas hinaus. Das ganze sieht aus wie ein städtischer U-Bahnplan.


[politische Karte Europas heute]


Das ist das heutige Europa. Man sieht die Länder mit ihren Grenzen, die bekanntermaßen zu 90 Prozent willkürlich sind. Zynisch könnte man sagen: von Menschen, für Menschen.


Ich denke aber, dass dieses Abbild Europas unzeitgemäß ist. Denn

—> Die Probleme der heutigen Zeit lassen sich nicht national lösen

—> Die Bedürfnisse der Menschen kennen keine Grenzen

—> Es braucht neue Denk- und Bildansätze


… die den Menschen auf einleuchtende Weise die Punkte 1 und 2 klar machen und sie von Anfang an in den Prozess einbinden. Und eine besondere Rolle darin spielt die Kunst.

Und da sind wir schon mitten im Imagineering.


METROPA stellt also den Versuch eines solchen neuen Denk- und Bildansatzes dar. Es ist einfach, und dennoch poetisch und inspirierend. Es ist komplex, und trotzdem chic und illustrativ.

Es passt auf T-Shirts und Großleinwände wie hier. Und es funktioniert sowohl mit als auch ohne Worte.


Ich erzähl mal ein bisschen, wie METROPA entstanden ist.


2010 war ich mit einem Freund unterwegs nach Ungarn, er hat sich dort ein Bauernhaus gekauft, und auf der Fahrt dorthin erzählte er mir von den japanischen Shinkansen-Zügen, die dort seit Jahrzehnten in großer Zuverlässigkeit die Metropolregionen verbinden. Wir waren uns einig, dass das doch eine tolle Sache wäre, wenn es sowas auch in Europa gäbe, und zwar in GANZ Europa. Das ist im Grunde die Idee von METROPA.

Als ich wieder daheim war, setzte ich mich an den Tisch, nahm den Atlas und zeichnete intuitiv die ersten Skizzen.

Von Anfang an waren das zwei Kreislinien und ein paar Tangenten, die die großen und ein paar kleinere Städte als Stationen verbinden. Der Ansatz dabei war eine Neugewichtung: anstatt einer gewöhnlichen physischen Karte, auf die ein Netz eingezeichnet war stand das abstrahierte Netz im Vordergrund, das sich das beschriebene Territorium untertan macht. Es war also ein bewusster gestalterischer Akt, mit dem gleichen Grad an Abstraktion, die auch ein U-Bahn System auszeichnet.

Mit der Zeit wuchs die Zahl der Linien an, ein paar absurde waren auch dabei, zum Beispiel die L8-Endstation Reykjavik. Die kam dann wieder raus, aber manch andere blieben. Städte kamen und gingen wieder, zum Beispiel Brünn oder Florenz, und ich vertiefte mich immer mehr in die Geografie des Kontinents. Ich wollte ja kein Fantasie-Netz machen, sondern einen Bezug zu den Realitäten haben.

Und als ich fertig war, bemerkte ich erst, dass ich auf diesen ganzen Wegen eines vergessen habe: Etwas, was in dem Konzept offenbar nicht wichtig schien, oder einfach nicht reinpasste. Die Grenzen.


Als dann die großen europäischen Krisen kamen – 2012 die Schuldenkrise und 2015 schließlich die sogenannte Flüchtlingskrise – dachte ich, so, jetzt druck ich das mal auf Papier und verteile es, könnte ja eventuell was zur Diskussion beitragen.


Seitdem drückte ich also jedem ein Plakat in die Hand, der zu mir ins Studio kam. Manche brachte ich in den Laden um die Ecke als Dankeschön für den guten Service. Und da hingen sie dann und blieben hängen: auf Kühlschränken, in WG-Toiletten, hinter Verkaufstheken und als Idee auch in den Köpfen. Dann brachte ich sie auf Kommission in die ersten echten Geschäfte, unter anderen zur alteingesessenen Reisebuchhandlung Freytag&Berndt. Das ist heute der Verlag, der die Plakate rausbringt. Ich machte dann auch Postkarten für die Straße, die ich immer als Giveaway in der Tasche dabeihatte.


Und so verging die Zeit. Ich verkaufte vielleicht 2 Plakate pro Jahr pro Geschäft, bastelte immer wieder am Illustrator, schrieb hie und da mal einen Journalisten an, aber es passierte nichts weiter. Dann, ungefähr so 2018, traf ich auf der Straße den Schriftsteller Robert Menasse. Das ist der mit dem Brüssel-Buch. Ich gab ihm eine Postkarte, er meinte: Ah, des gfoit ma. Daraus entspann sich ein kurzlebiger Austausch, während der er mir einmal versprach, einen Stapel Postkarten an seine Freunde in Brüssel zu schicken, also die hohen Tiere. Das tat er zwar nicht, der ganze Stapel landete bei seiner damaligen Kampagnen-Kompagnonin Ulrike Guérot, einer äußerst umtriebigen, emsigen und gut vernetzten Europaverfechterin. Und von ihr aus ging es, ohne mein Wissen oder Zutun, direkt ins Internet, in die sozialen Medien, Twitter, Facebook, etc.. Etwa zur gleichen Zeit, im Herbst 2019, ging dann die Website online, die hat mir mein Freund mit dem Haus in Ungarn gebaut. Schön langsam hatte das Gefühl, dass es die jetzt braucht – obwohl ich immer noch nichts von den Aktivitäten wusste, die METROPA inzwischen eigenhändig im Netz entwickelte: auf Twitter und reddit war es jedenfalls schon.


Auf Reddit zum Beispiel diskutierten tatsächlich tausende Leute über den METROPA-Plan, viele in der Hoffnung (oder Angst), er könne irgendwann Wirklichkeit werden. Manche brauchbaren Hinweise flossen später direkt in meine Überarbeitungen ein, zum Beispiel Bologna als großer norditalienischer Verkehrsknotenpunkt. Es wurde über Streckenführungen, Technologien und Städte diskutiert, am schärfsten wurde um die L1 im Nahen Osten. Viele fanden es einfach unerhört, die politischen Gegebenheiten derart außer acht zu lassen. Doch darum genau geht es ja: heute reißt man eine Denkgewohnheit ein, und morgen die ganze Grenze.


Und egal welcher Meinung die Menschen waren, die Redditleute, Menasse, Guérot: alle sie haben sofort kapiert, worum es bei METROPA geht: grenzenlose, nachhaltige Mobilität. Es geht um ein modernes Europa als Stolz seine Einwohner*innen, egal woher sie kommen. Ein Kraftort der Vielfalt und Innovation.


Im März 2020, unmittelbar vor dem ersten Lockdown, folgte dann der vorläufige Durchbruch mit einem ganzseitigen Artikel in der SZ. Es gab dann Interviewanfragen, Glückwünsche, und in der italienischen Kinderzeitung Internazionale KIDS sogar ein Centrefold, worüber ich mich am meisten freute. So erreichte es nämlich genau diejenigen, die dieses Netz vielleicht irgendwann bauen werden, und für die es jetzt als Plakat im Kinderzimmer eine Inspiration darstellt.


Soweit die Entstehungsgeschichte. Es ist dann natürlich noch viel weiteres passiert, ich habe Postkarten an alle Abgeordneten in Brüssel geschickt, Socialmediakanäle eröffnet, die METRO will mir den Namen streitig machen, der österreichischen Verkehrsministerin und Arnold Schwarzenegger habe ich ein T-Shirt geschenkt, in Budapest an einem TED-talk teilgenommen, undundund.

Und es gibt noch so viel mehr zu tun. Noch bin ich mit METROPA alleine. Aber es gibt so viele Ansatzpunkte darin, die es wert sind, weiterzuverfolgen und auszuformulieren. Und unter anderem deswegen bin ich heute hier.


Viele fragen zum Beispiel nach der Machbarkeit. Das ist unmittelbar mit der Frage nach der Technologie verknüpft, was wiederum die Frage aufwirft, was denn METROPA überhaupt können soll. Und da gibt es zwei Ansätze.


1. die Utopie des neuen Netzes


Angetreten ist METROPA mit der Idee von superschnellen Zügen in hoher Frequenz und kostenloser Nutzung. Derzeitige Schienentechnik vermag das nur auf Spezialstrecken, siehe TGV oder ICE. Es braucht also neue Technologien, zum Beispiel die Magnetschwebebahn, auch MagLev genannt.

Ein Ingenieur aus dem Münchener Umland schickte mir dazu sogar eine überschlagsmäßige Kostenkalkulation, basierend auf Transrapid-Technologie und bei einer ungefähren Gesamtstreckenlänge von 46000km: Das Ergebnis waren 2,3 Billionen Euro. In englisch klingt das noch fantastischer: 2,3 trillions. Eine große, aber trotzdem nicht kosmische Zahl. Zum Vergleich: laut den Pandora-Papers, die gestern rauskamen, werden ca. 20 Billionen in Offshore-Oasen versteckt. Dagegen wäre METROPA Peanuts.


Und, anderer Vergleich: Würde mich interessieren, was der GESAMTE Flugverkehr oder das GESAMTE Autobahnnetz kostet. Ich wette, er kostet mindestens genausoviel, gestreckt halt auf die letzten Jahrzehnte.


Ich denke also, dass das Geld nicht das geringste, aber auch nicht das größte Problem darstellt. Es sind die gewaltigen organisatorischen, politischen und baulichen Herausforderungen, die es so komplex machen. Es erfordert ein breites Commitment aller beteiligter Firmenkonsortien, Banken und Regierungen.

Apropos Regierungen…


Ist ein geeintes Europa Voraussetzung oder Ziel von METROPA?

Ein typisches Henne-Ei – Problem.

Realistischerweise muss man davon ausgehen, dass die „Nationen“ noch länger bestehen bleiben. Aber sie werden – und da kann sich auch die Schweiz nicht ausnehmen – immer mehr Souveränität und Entscheidungsvollmachten abgeben müssen, bis irgendwann… ja bis irgendwann die Nation halt nur noch auf dem Fußballfeld eine Rolle spielt.


Und METROPA kann einen Beitrag dazu leisten, diesen Einigungsprozess in den Köpfen vorzubereiten und als Blaupause zu dienen. Wenn Europa eine Stadt wäre, wäre METROPA sein Öffentliches Verkehrsmittel.


2. Bestandsaufnahme


Der zweite Ansatz ist, METROPA auf den Bestand anzuwenden. Denn Europa hat ja bereits ein Zugverkehrsnetz!


Ihr seht hier eine Momentaufnahme von vor zwei Monaten. Darin das METROPA-Netz und viele rote Zahlen. Sie zeigen die aktuellen Fahrzeiten auf den Strecken des METROPA-Plans, die es schon gibt. Ich hab dafür die größten Zugplattformen befragt und komme immerhin auf 70%, was der dzt. Bestand schon bereitstellen kann. Es gibt noch viele Lücken, v.a. in Osteuropa, und die absurden Meeresstraßen sind natürlich heute auch nicht mit Zügen möglich.


Aber es zeigt uns, dass METROPA grundsätzlich bereits zu 70% Tatsache ist. Wir bekommen es bloß nicht als zusammenhängendes Ganzes zu Gesicht. Was wiederum mit den Ländern, siehe oben, und ihren nationalen Zugunternehmen zu tun hat. Sie sind nicht aufeinander abgestimmt, leiden fast alle unter Unterfinanzierung und gelten noch zu vielen Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft als wenig prestigeträchtig. Das ändert sich durch die Klimakrise zwar gerade langsam, aber alle unter Ihnen, die schon mal Interrail gefahren sind, haben da mehr Ahnung vom zusammenhängenden Kulturraum Europa als diese Herrschaften.



Gestern hatte ich mit meinem Vater ein sehr interessantes Gespräch über die Ausrichtung von METROPA in der derzeitigen Situation: soll es sich eher mit einem völlig neuen Netz an die Visionäre richten? Oder soll es die Menschen in der Wirklichkeit abholen und mit ihnen gemeinsam in die Zukunft fahren?

Ich bin dann zum Ergebnis gekommen, dass beides möglich, ja notwendig ist. Man braucht ein fernes Ziel, meinetwegen eine Vision. Doch um im Jetzt Interessenten zu finden, braucht es Ideen zur Umsetzung in der Gegenwart.

Man könnte zum Beispiel den derzeitigen Boom der Nachtzüge nutzen, um schon sehr bald ein METROPA-Netz auf Nachtzugbasis zu schaffen. Jede Linie fährt einmal pro Richtung in der Nacht. Somit wird der geografische Rahmen abgesteckt und man kann die Akzeptanz am lebenden Objekt erfahren.

Und als nächsten Schritt dehnt man das Konzept auf den Tagesbetrieb aus. Alle zwei Jahre wird dabei die Frequenz verdoppelt: 2 Züge pro Tag, dann 4, usf. Bis zur Maximalfrequenz von ein Zug jede halbe Stunde.


Wie findet ihr das?


Fazit

Wir leben in spannenden Zeiten, und wir können nicht mehr länger darauf warten, dass ANDERE Entscheidungen für UNS treffen. Wir können in die Prozesse selbst eingreifen und daran arbeiten, dass die Welt, die wir unseren Nachkommen hinterlassen, immer noch eine lebenswerte ist. Wir nennen es Zukunft, aber für sie wird es die Gegenwart sein, und daher dürfen wir auch keine Scheu oder Angst haben, sich damit zu befassen. Wir heute haben die Aufgabe, den Boden dafür zu bereiten, die menschliche Welt, und damit meine ich natürlich nicht nur Europa alleine, zukunftstauglich zu machen.

Wir sollten also die Vergangenheit hinter uns lassen, die Flugzeuge, die Grenzen, die Nationen. METROPA handelt nicht nur von Zügen, sondern von Ideen, von Gedanken und ihrem Austausch, so dass alle davon profitieren, weil wir schließlich Nachbarn sind.


Ich glaube, dass Mobilität, dieser urmenschliche Traum, eine Schlüsselrolle in der Gestaltung der Zukunft spielt. Ihre clevere Ausformulierung wird der Schlüssel zum Gelingen der europäischen Integration, nachhaltiger Klimapolitik und sozialen Frage sein. Mobilität ist ein Menschenrecht, und zwar nicht nur für diejenigen wie uns, die aus freien Stücken reisen, sondern auch für diejenigen, die auf der Flucht sind. Der Mensch ist kein Baum, er kann frei entscheiden, wohin er geht und warum. Ich betrachte Mobilität als universales menschliches Grundrecht, und Europa hat die Möglichkeit und die Pflicht, dafür in der ganzen Welt zu einzustehen.

Darum geht es bei METROPA. Danke für Eure Aufmerksamkeit!


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